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„Ich rufe mal an, vielleicht hat Anders ja Zeit für Sie!“

Schon mein erster Kontakt mit Tuija war äußerst sympathisch. „Hi Manfred, what time will you arrive at Gästhem Neptun tomorrow? Best, Tuija Farahani” Na gut, dass sich das Gasthaus, in dem ich übernachten möchte, per SMS nach meiner Ankunftszeit erkundigt, ist ja nicht ungewöhnlich. Wenn man dann aber auf die Antwort, dass man um 07.15 Uhr mit der Nachtfähre ankommen wird und gerne schon einmal sein Gepäck unterstellen möchte eingeladen wird, sofort morgens einzuchecken, da das Zimmer dann bereits fertig sei, dann ist das schon sehr sympathisch. Und wenn man am Abreisetag nicht um 10.00 Uhr auschecken muss, sondern das Zimmer bis Mitternacht noch belegen darf, dann ist das schon außergewöhnlich sympathisch. „Das geht natürlich nur in der Nebensaison, in der Hauptsaison sind wir oft ausgebucht.“ Liebe Tuija, ich wünsche Ihnen stets ein volles Haus! Und den Gästen kann ich nur raten, sich bei Tuija Tipps für den Aufenthalt auf Åland geben zu lassen. Eigentlich sollte Tuija („als ich geboren wurde, gab es eine bekannte Schauspielerin mit dem Namen ‚Tuija‘, nach der bin ich benannt worden. Tuija bedeutet, äh, Moment, schauen Sie mal, so wie dieser Baum dort, der heißt wohl ‚Lebensbaum‘, oder?“) ein kleines Gehalt von der Touristeninformation Åland beziehen, denn ihre Geschichten über Åland und Mariehamn sind besser als jede Werbebroschüre.

„Schauen Sie mal hier, in der Zeitung ist ein Artikel über die Herausgabe des Buches ‚Sohn eines Maurers‘. Das ist die Geschichte von Anders Wiklöf. Anders wohnt am anderen Ende der Neptungasse. Er geht hier immer mit seinem Hund spazieren und grüßt alle Menschen sehr freundlich. Er ist überhaupt nicht eingebildet, dabei ist er bestimmt der reichste Mann von ganz Åland. Angefangen hat er mit dem Kauf und Weiterverkauf einiger Autos. Das Geld für die Autos hatte er sich bei einer Bank geliehen. Heute könnte er sich wahrscheinlich die Bank kaufen.“

 

In der Tat, Tuija übertreibt kein bisschen. Die Wiklöf Holding, die 1990 noch mit einem einzigen Angestellten einen Umsatz von 1 Million Euros hatte, hat 2018 mit 630 Angestellten bei einem Umsatz von 346 Millionen Euro einen Gewinn von 9,2 Millionen Euro nach Steuer erwirtschaftet. So steht es jedenfalls in dem Buch, dass der ehemalige Journalist Staffan Bruun über Anders Wiklöf geschrieben hat. „Sie sind doch immer an interessanten Geschichten interessiert. Ich rufe mal an, vielleicht hat Anders ja Zeit für Sie!“  

So eine spontane Idee kann man wohl nur haben, wenn man in einer Gesellschaft lebt, in der jeder jeden kennt. Die knapp 30000 Åländer bilden so eine Gesellschaft. Lebten die Åländer nicht größtenteils auf der nicht weit von Schwedens Hauptstadt Stockholm entfernten Hauptinsel Fasta Åland, sondern auf allen Inseln der des Åländer Archipels verteilt, dann lebten auf jeder einzigen Insel keine fünf Menschen. Falls Sie keine Lust haben, das jetzt nachzurechnen: Die gesamte Inselgruppe Åland besteht aus 6757 Inseln mit einer Mindestgröße von 0,25 ha. Die hier lebenden Einheimischen sind weder Schweden noch Finnen, sondern Åländer. Sie sprechen Schwedisch und gehören als weitestgehend autonomes Gebiet staatsrechtlich zu Finnland. Laut einem Beschluss des Völkerbundes von 1921 ist Åland nicht nur mit einer Vielzahl autonomer Rechte ausgestattet, sondern obendrein demilitarisiert.

Und da Åland nicht der Europäischen Zollunion angehört, hat sich hier ein sehr einträgliches und völlig legales Geschäftsmodell entwickelt. Die Fähren von Schweden nach Finnland oder Estland legen für einen kurzen Zwischenstopp im Hafen von Mariehamn an, der idyllischen Hauptstadt Ålands. Somit kann an Bord zollfreie Ware verkauft werden. Dieser Handel ist so lukrativ, dass er etwa 40% des Bruttoinlandproduktes Ålands ausmacht. Und da auch der Tourismus boomt, hat Åland im Sommer nicht nur Vollbeschäftigung, sondern sogar einen Mangel an Arbeitskräften.

Derweil hat Tuija die Sekretärin von Anders Wiklöf am anderen Ende der Leitung. Wie sich schnell herausstellt, bin ich merkwürdigerweise nicht der Einzige, der nach der Herausgabe des Buches um ein Interview mit dem Namensgeber der „Wiklöf Holding Arena“ und Sponsor des Erstligisten IFK Mariehamn (Männerfußball) bittet. „In dieser Woche ist der Kalender von Anders voll. Journalisten aus Schweden und Finnland, aber auch aus anderen Ländern, haben bereits Termine bei ihm. Die Sekretärin sagt, dass Sie in der nächsten Woche gerne einen Termin bekommen könnten. Hier ist die Emailadresse, unter der Sie einen Termin vereinbaren können.“ Macht nichts, aber in der nächsten Woche habe ich diese gastfreundliche Inselgruppe dann doch schon wieder verlassen. Dann werde ich Anders bei meinem nächsten Besuch auf Åland treffen, und sei es dann, wenn er gerade seinen Hund in der Neptungasse spazieren führt.

Es ist ja nicht so, dass ich ansonsten keine interessanten Gesprächspartner gefunden hätte. Lesen Sie mal im Reiseführer oder im Internet nach, was es alles für Sehenswürdigkeiten auf Åland gibt. Sie werden unweigerlich auf das Segelschiff „Pommern“ stoßen. Aber wer hat sich mehr als ein Jahrzehnt lang darum gekümmert, dass die Pommern so gut in Schuss bleibt? Das steht in keinem Reiseführer, jede Wette.

Nun, ich kann es Ihnen verraten. Bevor Jyrki Abrahamsson seine Firma „City Sport & Cykel“ eröffnet hat und nunmehr Fahrräder verkauft, repariert und verleiht, war er beim Schifffahrtsmuseum Åland für die Wartung der „Pommern“ zuständig. In meinem Buch erfahren Sie mehr über Tuija und Jyrki, versprochen.

Bevor es zum Link zur Bildergalerie geht, jetzt aber noch eine kleine Geschichte über einen Spion, die sich 1987 u.a. in diesem Gebäude hier abgespielt hat.

Hier sehen Sie das russische Konsulat. Und wer hat sich auf seiner spektakulären Flucht nach Moskau genau hier vorübergehend versteckt? Ja, es war der Spion Stig Svante Eugen Bergling, alias Stig Svante Eugen Sandberg, alias Stig Svante Eugen Sydholt. Dieser schwedische Sicherheitsoffizier hatte im kalten Krieg für die Sowjetunion spioniert und war im Jahr 1979 enttarnt und in Israel verhaftet worden. Acht Jahre später gelang ihm mit seiner damaligen Ehefrau die spektakuläre Flucht nach Moskau, mit einer Übernachtung im sowjetischen Konsulat in Mariehamn. Heutzutage hat das nunmehr ja russische Konsulat keine derartig spannenden Geschichten zu bieten. Zuletzt machte es von sich Reden, als kürzlich im Zuge der „Gay Pride Parade“ LGBT Aktivisten regenbogenfarbige Luftballons am Zaun des Konsulats befestigten. Der Konsul war nicht von dieser Aktion begeistert, sagt man.

An anderen Häusern Mariehamns ist der Regenbogen wohlgelitten.