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Es war mir ein Vergnügen!

Pridnestrowien war zwar der letzte – wenn auch international nicht anerkannte – Kleinstaat meiner Reise, aber noch nicht das letzte Ziel. Eine ganz spezielle Region wartet noch auf mich. Doch um dorthin zu kommen, muss ich dem Reisegott noch einige Opfer bringen. Aber mein Freund Ronald schreibt mir angesichts der etwas abenteuerlich anmutenden mehrtägigen Fahrt in diese spezielle Region völlig zutreffend, dass für mich ja sowieso der Weg das Ziel ist. Aber der Reihe nach. Die Busfahrt von Tiraspol nach Chisinau ist Routine. Noch ein erholsamer halber Tag in Moldawiens Hauptstadt mit ihren schönen Parks und Cafés, und dann bringt mich der Nachtzug nach Bukarest.

Ich habe das Schlafwagenabteil für mich ganz alleine, entsprechend geruhsam ist die Nacht. Da an der moldawisch-rumänischen Grenze aufgrund der unterschiedlichen Spurbreiten ein knapp zweistündiger „Reifenwechsel“ durchgeführt werden muss, gibt es sogar ein interessantes Unterhaltungsprogramm.

Am nächsten Tag streife ich durch Bukarest und freue mich über das schöne Wetter und die Tatsache, dass ich mich hier einfach treiben lassen kann. Interessante Stadt, trotz des Klebstoff-schnüffelnden Jungen, der mir gleich bei der Ankunft am Nordbahnhof über den Weg stolpert. Da die Schlafwägen der ersten Klasse alle belegt sind und ich keine Lust habe, in einem sechs-Bett-Abteil die nächste Nacht zu verbringen, wähle ich für den Nachtzug nach Temeswar die Sitzplatz-Variante in der ersten Klasse. Auch okay, aber natürlich weniger geruhsam, zumal der Zug mitten in der Nacht wegen eines technischen Defekts vier Stunden lang stehen bleibt (und entsprechend später in Temeswar eintrifft). Von hier aus bringt mich ein Bus nach Belgrad. Denke ich. Am Busbahnhof muss ich aber frustriert zur Kenntnis nehmen, dass mir das Internet mal wieder einen Streich gespielt hat. Die dort angegebene Busverbindung existiert rein virtuell. Das hilft mir leider nicht wirklich weiter. Aber ein Optimist muss sich selbstredend in der Kunst der Improvisation beweisen können, oder? Nun, zum Glück gibt es die urige kleine Bimmelbahn, die mich von Temeswar nach Stamora bringt.

Vom dortigen Bahnhof sind es schlappe sechs Kilometerchen bis zur rumänisch-serbischen Grenze, von denen ich aber nur die ersten beiden auf Schusters Rappen zurücklegen muss, da mich dann ein sehr freundlicher in Deutschland arbeitender rumänischer Mercedesfahrer aufgabelt und bis zum Grenzübergang bringt, obwohl er eigentlich zum Zahnarzt in Moravitza will. Na, der kurze Umweg bis zur Grenze ist ja womöglich eine prima Gelegenheit, den Zahnarzttermin um ein paar Minütchen hinauszögern zu können. Der rumänische Grenzbeamte freut sich über einen Fußgänger, dem er sogar noch seine persönliche Abneigung gegenüber einer berühmten Politikerin mitteilen kann: „Merkel not good, soon bye bye!“ Ich enthalte mich jeglichen Kommentares und laufe weiter zum serbischen Checkpoint. Die serbische Beamtin ist wohl nicht weiter an der noch amtierenden Busdeskanzlerin interessiert, stempelt meinen Pass und wünscht mir viel Spaß beim Marsch zur etwa 20 Kilometer entfernten Stadt Vršac, von wo aus stündlich Busse nach Belgrad  verkehren. Zwanzig Kilometer laufen? Das wollen wir doch mal sehen! Nö, nö, der Optimist hat wieder das ihm gebührende Glück: Kaum einen Kilometer muss er auf serbischen Boden laufen, dann kommt ein alter VW angefahren. „Taxi?“ Diese Frage beantworte ich gerne mit „ja“. Der Besitzer-Wechsel eines 10 Euroscheines stellt in diesem Fall eine echte win-win-Situation dar. Der Mann fährt mich für einen guten Lohn in die Stadt und ich spare mir den Fußmarsch. Nun noch mit dem Bus von Vršac nach Belgrad und dort zwei Nächte im Hotel schlafen. Nach zwei Nächten im Zug keine schlechte Sache! Und was esse und trinke ich in Belgrad?

Na gut, das war leicht zu erraten. Aber wo befindet sich nun das angekündigte letzte Ziel meiner Reise? Ich gebe einen Tipp: Das Land, in dem sich die spezielle Region befindet, fängt mit Bosnien an und hört mit Herzegowina auf. Ein Staat, der de facto eigentlich aus zwei Ländern besteht. Schon bei der Einreise mit dem Bus werde ich mitnichten mit „Willkommen in Bosnien-Herzegowina“ begrüßt. Auf dem Schild steht stattdessen „Willkommen in der Republik Srpska“. Ganz Bosnien-Herzegowina ist aufgeteilt in einen serbischen und einen bosnisch-kroatischen Teil. Ganz Bosnien-Herzegowina zweigeteilt? Nein, ein kleines gallisches Dorf, äh, Entschuldigung, eine kleine Region ist von der Zweiteilung ausgenommen: der Distrikt Brčko. Dieser Distrikt ist sozusagen neutral und untersteht direkt der Zentralregierung. Warum das so ist? Das müssen Sie jetzt entweder googeln, oder Sie gedulden sich, bis Sie mein Buch in der Hand halten. Ein wenig Aufklärung bringt das Bild hier.

 

In Brčko ist mir schon wieder das Glück hold. Denn im „Guesthouse Sistem NGO“ (kein Witz, hier betreibt eine NGO eine Pension) trifft kurz nach mir Dragan aus dem Schwarzwald ein. „Wir können Deutsch miteinander sprechen!“ Der 45 jährige sportlich-drahtige Mann will hier mal wieder nach dem Rechten sehen. Dragan hat zwar fast sein ganzes Leben in Deutschland verbracht, denn seine Eltern kamen Anfang der siebziger Jahre als „Gastarbeiter“ von hier nach Deutschland. Inzwischen sind die Eltern Dragans verstorben und er kommt rund zweimal im Jahr hierher, kümmert sich um das Grab und das Haus und das Grundstück seiner Eltern. Eine willkommene Gelegenheit, auch seinen Onkel und Freunde zu treffen. Mein Glück, wie oben geschrieben, denn Dragan bietet mir an, mir sowohl die Stadt Brčko zu zeigen, als auch mit mir einen Ausflug in einige Dörfer des Distrikts Brčko zu unternehmen. Na, und ob ich dieses Angebot annehme.

Natürlich besuchen wir auch Dragans Onkel, der mir unter anderem erklärt, wie man Zwetschgenschnaps brennt, der hier übrigens Raki und nicht Sliwowitz genannt wird.

Dragan, vielen Dank für Deine grandiose Gastfreundschaft, und viele Grüße an Deinen Onkel. Wenn Sie hier klicken, dann gelangen Sie zur Bildergalerie Brčko. Einige der Bilder sind selbsterklärend. Der Rest wird Ihnen klar, wenn Sie die das letzte Kapitel meines Buches lesen. Jetzt kann ich Ihnen leider nicht mehr verraten, denn nach meiner bisher schon mehr als 24 stündigen Zugfahrt von Belgrad über Innsbruck und München sitze ich jetzt recht müde im ICE nach Hannover und habe genug damit zu tun, diesen nunmehr letzten Blogbeitrag meiner Reise fertig zu stellen. Es war mir ein Vergnügen!