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Imagine

Imagine. Stellen Sie sich vor, ich würde auf Malta einen Pinguin kennenlernen, der sich dann auf  Island als Puffin (Papageientaucher) outet? You may say I’am a dreamer, but I’m not the only one. Ich habe das aber nicht geträumt, und ich bin nicht der einzige, der auf Malta auf den kleinen aufblasbaren Kerl (so eine Schwimmhilfe aus Plastik) hereingefallen ist. Sicherlich erinnern Sie, liebe Leserinnen und Leser, an Karl Pulo und sein wunderbares Hostel in St. Julian auf Malta. Drehen wir die Zeit zurück. Im Pool treffe ich ihn und plantsche mit ihm herum. Ich halte ihn für einen Pinguin, und Charly, der Barkeeper, findet das sehr plausibel. „Er ist mir zugeflogen und will jetzt immer ins Wasser.“ Verständlich bei der Hitze auf Malta. Charly und ich grübeln bei einem kühlen Bier darüber nach, wie dem Bewohner der Antarktis geholfen werden kann. Beim zweiten Bier habe ich die Erleuchtung: Ich bin zwar nicht auf dem Weg in die Antarktis, aber ich werde ja auch noch nach Island kommen. Dort müsste sich ja auch ein Pinguin wohlfühlen. Charly gefällt die Idee, dass ich den Pinguin mitnehme. Und auch der Pinguin stimmt sofort zu. Also machen wir einen Deal. Ich mache immer mal Fotos vom Pinguin und schicke sie Charly. Der kann somit sehen, wie es seinem Schützling geht. In Island werde ich ihn dann in die freie Wildbahn entlassen. Zu dritt besiegeln wir diesen Deal.

Dann unterläuft mir vielleicht ein Fehler. Charly und ich sind uns einig, dass der Pinguin auch einen Namen braucht. Angesichts des Ortes, in dem wir uns befinden, einigen wir uns auf den Namen Julian, und auch Julian ist mit seinem Namen einverstanden. Der vermeintliche Fehler besteht darin, dass wir Julian mit dem örtlichen CISK Bier taufen. Julian ist nämlich vom Bier-Geschmack begeistert und wird im Verlauf unserer gemeinsamen Reise nach Island darauf bestehen, immer wieder mal ein Schlückchen Bier zu bekommen.

Das geht schon in Rom los. Wir sitzen auf unserem Balkon mit Blick auf die Kuppel des Petersdoms, da verlangt Julian nach einem Schluck Moretti.

In San Marino habe ich zwar kein Bier für Julian, dafür aber einen schönen Brunnen zum baden.

Auch in den Bergen Andorras und beim Zwischenstopp in Madrid (auf dem Weg nach Gibraltar) darf Julian ins Wasser, was er ganz offensichtlich genießt.

Julian hat sich inzwischen auch daran gewöhnt, dass irgendwelche Touristen, die ihm im Wasser plantschen sehen, Fotos von ihm machen. Immer wieder muss ich den freudig überraschten Touristen Julians Geschichte erzählen. Dass er ein auf Malta gestrandeter Pinguin ist, der jetzt mit mir auf dem Weg nach Island ist. Julian hört sich meine Erzählung immer wieder an, ohne mit der Wimper zu zucken. In Gibraltar baden wir zusammen im Meer und in Ceuta badet Julian zuerst in einem Brunnen und dann gucken wir in einer Bar zusammen ein Fußballspiel an (bei nicht nur einem Bier), sehr zur Belustigung der netten Mari José („das letzte Bier geht auf’s Haus“, vielleicht erinnern Sie sich).

Auf Jersey müssten mir eigentlich Zweifel kommen. Zuerst badet Julian wieder in einem Brunnen, und dann macht ein Paar aus Schottland einige Fotos von uns. „Oh, Julian ist ein Pinguin? Ich dachte, er sei ein Puffin.“ Ein Puffin? Wie kommt die Schottin denn darauf?

Auf der Isle of Man kommen mir die ersten Zweifel an Julians Spezies, da der Engländer, der Julian und mich auf dem Hügel von Peel fotografiert, wie bereits die Schottin davon ausgeht, dass Julian doch wohl eher ein Puffin als ein Pinguin sein muss.

Ich stelle Julian zur Rede, aber er bleibt stumm. Und trinkt lieber einen Schluck Bier.

 

Ich will mich natürlich nicht mit Julian streiten, und da Julian mir meine Friedfertigkeit mit den Worten: „Imagine all the people living life in peace“ dankt, verscheuche ich den Gedanken wieder, dass Julian mir etwas verschweigen könnte und stelle mir lieber vor, dass alle Menschen und Pinguine ein Leben in Frieden führen können. Und ich stelle mir vor, dass es ein vereinigtes Europa gibt und keine Länder (das ist nicht schwer) und nichts, wofür man morden oder sterben müsste. Julian erwidert nur schmunzelnd: „Ja, imagine, there’s no countries. It isn’t hard to do. Nothing to kill or die for.” Und natürlich fügt er dann noch den Satz an „And no religion, too“, mein kleiner atheistischer Freund.

Ach Julian, jetzt reisen wir schon seit eineinhalb Monaten zusammen herum, und ich war immer im guten Glauben, Du seist tatsächlich ein Pinguin. Das war einmal. Denn jetzt sind wir in Island. Und was muss ich erkennen, als ich vor dem Laden „LUNDINN – The Puffin“ stehen bleibe.

Ganz, ganz viele Puffins. Und die Puffins sehen aus wie Zwillinge meines (in diesem Moment) luftlos im Rucksack schlafenden Julians.

Jetzt muss die Wahrheit ans Tageslicht kommen. Ich puste Julian auf und will endlich Klarheit haben. „Julian, bist Du ein Puffin?“ Julian schaut mich mit seinen großen treuen Augen an und dann bricht es aus ihm heraus. Als er auf Malta hörte, dass ich auf dem Weg nach Island sei, wollte er unbedingt mitkommen, zurück in seine Heimat. Aber er hatte Angst, dass ich ihn nicht mitnähme, wenn ich erführe, dass er gar kein Pinguin sei. Ich wäre ja so stolz gewesen, einen Pinguin nach Island zu bringen. Also habe er das Spiel halt mitgespielt. Ob ich ihm jetzt böse sei? Wie kann ich. Natürlich nicht. Wenn Julian so gerne zurück in seine Heimat wollte, dann hätte ich ihn doch auch als Puffin mitgenommen.

Julian freut sich wie ein Papageientaucher und will mir nun auch unbedingt seine Heimat zeigen. Wir fahren zuerst zum Gullfoss, dem Wasserfall am „Golden Circle“ und dann zu den Geysiren.

Dann miete ich für uns ein Auto und wir fahren auf der südlichen Ringstraße am unter Regenwolken verschwundenen Eyjafjalljökull (dem Vulkan, der es schafft, den Flugverkehr in ganz Europa lahmzulegen) vorbei zum Skogafoss. Diesen Wasserfall muss mir Julian doch unbedingt zeigen. Von Oben und von unten.

Wir übernachten in Hof und gönnen uns ein Viking-Bier.

Leider regnet es am nächsten Morgen sehr stark, so dass Julian am Jökulsarlon lieber im Auto bleibt und die im See schwimmenden Eisberge verpasst. Als ich zum Auto zurückkomme, will Julian schon selber losfahren.

Mein lieber Freund, das geht nun wirklich nicht. Weiter im Osten klart es dann auf und wir machen ein paar sehr schöne Fotostopps in der sehenswerten Fjördlandschaft.

Und jetzt sind wir schon ganz im Osten Islands angekommen. Wir machen noch eine kleine Wanderung in Seydisfjördur.

Die Fähre, mit der ich zu den Färöer-Inseln fahren werde, liegt schon im Hafen. Es ist an der Zeit, sich zu verabschieden. So lautete der Deal. Jetzt werden wir wieder getrennte Wege gehen. Ich bin traurig. Julian ist hier in Island in seiner Heimat, aber er wird mir sehr fehlen. Ich stelle mir vor, es gäbe keinen Besitz und frage mich, ob ich das kann. Julian schaut mich auch schon ganz zweifelnd an. Wahrscheinlich denkt er sich bei meinem traurigen Anblick: „Imagine no possessions. I wonder if you can!“ Es ist nun einmal so, dass ich nicht der Besitzer Julians bin, sondern nur der Transporteur. Ich frage Julian, wo ich ihn den fliegen lassen soll. „Vielleicht von hier oben, vom Hügel oberhalb der Stadt?“

Imagine. Stellen Sie sich vor, ich hätte auf Malta einen Pinguin kennengelernt, der sich dann auf  Island als Puffin outet? Und jetzt muss ich ihn verabredungsgemäß auf Island lassen, in seiner geliebten Heimat. Wir stehen vor der Fähre und ich habe einen dicken Kloß im Hals. „Alles Gute, Julian, lebe wohl.“ Wir blicken uns tief in die Augen und mir scheint es so, als ob ich nicht der einzige bin, der feuchte Augen bekommt.

 

Julian schaut sich um, schaut auf seine Insel. Das ist hier seine Heimat, aber ich bin sein Freund. „Lass die Luft aus mir raus und packe mich in den Rucksack, ich komme mit nach Deutschland. Aber wenn es mir da nicht gefällt, dann musst Du mich wieder nach Island bringen.“ You may say I’am a dreamer, but I’m not the only one. I hope someday you’ll join us and the world will live as one.     

Auf so eine Idee kann man auch nur kommen, wenn man in Liverpool nach einem Regenschauer vor dem Denkmal der Beatles steht. Imagine, John Lennon!