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Wer A sagt, muss auch B sagen

Wer A sagt, muss auch B sagen. Hier am westlichen Ende des Mittelmeeres heißt das: Wer nach Gibraltar fährt, muss auch nach Ceuta fahren. Glaubt man der griechischen Mythologie, und es gibt viel zu viel Evidenz, um ihr nicht zu glauben, dann waren Europa und Afrika solange miteinander verbunden, bis Herkules (oder auch Herakles) im Kampf mit Antäus die beiden Säulen Calpe und Abyla voneinander trennte, die heute als der Felsen von Gibraltar und der Berg Hacho (in Ceuta) bekannt sind. Zumindest in Ceuta sieht man das jedenfalls so. In Marokko ist man eher der Meinung, dass mit dem Berg Abyla der heutige Berg Dschebel Musa gemeint ist, der in Marokko, wenige Kilometer von Ceuta entfernt, deutlich höher aufragt als der Monte Hacho.

Blick über die Südspitze Gibraltars nach Afrika. Direkt über der Spitze ist der Dschebel Musa zu erkennen. Links davon liegt Ceuta, das mit dem Monte Hacho endet.

 

Die Straße von Gibraltar trennt auf jeden Fall zwei merkwürdige politische Gebilde voneinander. Das britische Überseegebiet Gibraltar an Spaniens Südküste und die spanische Enklave Ceuta auf der anderen Seite der Meerenge in Marokko. In Gibraltar gehe ich, natürlich, wieder auf Wanderschaft. Ich habe mir den „Thrill Seeker“ Weg ausgesucht, der als schwer gilt und laut Beschreibung perfekt ist für Adrenalin-Junkies und Fitness-Enthusiasten. Die Wegbeschreibung ist einfach zu verführerisch: „Mediterranean Steps, Skywalk, Charles V wall und Windsor Bridge“. Gleich am jüdischen Tor, dem Südeingang des Naturschutzgebietes „Upper Rock“, beginnen die mediterranen Stufen.

Dass die allerdings vom kleinen jüdischen Friedhof und einer Vogelbeobachtungsstation aus erst einmal wieder abwärts führen, das hatte ich nicht unbedingt erwartet. Nun, es ist ja erst kurz nach 10.00 Uhr vormittags, die Sonne steht also noch schön im Osten. Habe ich schon erwähnt, dass sich die mediterranen Stufen am Osthang des Felsens befinden? Nach einigen Windungen hinab geht es jetzt endlich bergauf. Ich schaue nach links oben und sehe eine steile Felswand. Ups, mein Etappenziel, die O´Harra´s Battery, muss dort irgendwo ganz oben liegen. 

Eines kann ich hier verraten. Für Fußlahme und Menschen, die nicht schwindelfrei sind, sind die mediterranen Stufen nicht gemacht. Die unzähligen Stufen werden nur selten von kleinen Abschnitten halbwegs ebenen Weges abgelöst. Wie gut, dass die Sonne kräftig scheint, da brauche ich nicht zu frieren. Es ist anstrengend, Stufe für Stufe nach oben. Ein einziges Mal unterbricht ein kurzer Tunnel die Tortur und spendet Schatten.

Am Beginn des besonders steilen Schlussanstieges mache ich Platz für einen etwa fünfzigjährigen Bergsprinter. Der Mann nimmt die mediterranen Stufen wirklich sportlich und zieht an mir vorbei. Ich sehe ihn immer mal wieder vor mir, bzw. über mir, doch dann ist er hinter einer Biegung verschwunden.

Ein paar Minuten später erreich auch ich diese Biegung und sehe, dass der höchste Punkt des Felsens von Gibraltar direkt vor mir liegt. Hier hat es sich auch der Bergsprinter im Schatten bequem gemacht. „22 Minuten, genau meine Richtzeit“, so antwortet er mir auf meine Frage, wie lange er denn vom jüdischen Tor bis hierher gebraucht habe. „Unsere Jungs von der Feuerwehr schaffen das in 18, 19 Minuten. Aber ich bin jetzt ja fast 55 Jahre alt, da bin ich mit meiner Zeit sehr zufrieden.“ Ich habe genau doppelt so lange gebraucht wie er, bin aber auch sehr zufrieden mit mir.

Oben auf dem Felsen treffe ich natürlich auch die Berberaffen an. Die meisten dösen im Schatten, einige wenige springen aktiv herum und bespaßen die Touristen. Die genaue Herkunft der Berberaffen ist wohl nicht geklärt. Da eine Legende besagt, dass die britische Herrschaft über Gibraltar beendet sei, wenn der letzte Affe den Felsen verlassen habe, hatte Winston Churchill vorgesorgt und neue Affen aus Marokko importieren lassen. Der von Inzucht geschwächte Affenstamm blühte auf und die britische Herrschaft scheint für lange Zeit gesichert!

Drüben in Afrika, in Ceuta, mache mich auf, das derzeit wahrscheinlich bekannteste Bauwerk des europäischen Außenpostens zu besichtigen – den etliche Meter hohen Grenzzaun zu Marokko. Auch wenn ich vor einiger Zeit im Fernsehen gesehen habe, wie Flüchtlinge aus Afrika diesen Zaun überkletterten, kann ich mir beim Anblick des doppelten, mit Stacheldraht gekrönten Zaunes nicht vorstellen, wie man hier rüber klettern kann. Zumal zu erkennen ist, dass auch auf marokkanischer Seite ein Zaun den Weg nach Spanien versperrt.

In brütender Hitze laufe ich vom Grenzübergang aus ein Stück die Straße entlang, vorbei an einem Gewerbegebiet bis auf eine Anhöhe, von wo aus man die Grenzanlagen gut beobachten kann. Drüben in Marokko ist ein Unterstand zu erkennen, von dem aus marokkanische Grenzer das Gebiet kontrollieren. Auf spanischer Seite sehe ich ebenfalls mehrere Polizeifahrzeuge, die am Zaun entlang geparkt sind. Ich bin zu weit entfernt, um zu erkennen, ob hier Frontex die Grenze sichert, oder ob es Spanier sind. Unheimlich und auch unmenschlich, diese Grenze.

Vielleicht habe ich ja doch ein westberliner Mauertrauma, denn die Grenze verursacht bei mir ein großes Unbehagen. Mir ist aber auch klar, das Ceuta ohne diese Grenzsicherung innerhalb kürzester Zeit im Chaos versinken würde. Hier wird mir wieder einmal besonders bewusst, dass ich ein Bewohner der „Festung Europa“ bin. Festungsanlagen gab es wohl schon immer, mehr oder weniger ausgeprägt.

 

Hier auf Ceuta wurden die ersten Festungen während der siebenhundertjährigen Zeit der arabischen Herrschaft errichtet. Dann kamen erst Portugiesen und schließlich Spanier hierher und bauten Ceuta als militärischen Stützpunkt immer weiter aus. Die beindruckenden Festungsanlagen können besichtigt werden, was ich mir natürlich nicht nehmen lasse.