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„Sir, Sie sind verhaftet!“

Wussten Sie, dass die Isle of Man, diese im Irischen Meer gelegene Insel zwischen England und Irland, mit dem Tynwald das älteste durchgängig bestehende Parlament der Welt hat (seit dem Jahre 979)? Nun, wenn nicht, dann wissen Sie es jetzt. Ansonsten hat die Insel viele Gemeinsamkeiten mit den Kanalinseln. Sie ist ebenfalls Kronbesitz und gehört somit weder dem Vereinigten Königreich, noch der EU an. Sie hat ebenfalls ihre eigene Währung, die ebenso wie das Jersey-Pfund und das Guernsey-Pfund an das britische Pfund gekoppelt ist. Sie ist natürlich auch eine Steueroase und der Sitz vieler Offshoreunternehmen. Soweit so gut (bzw., so schlecht, was die Steuergeschichte angeht), das kommt jetzt für mich – und wahrscheinlich auch für Sie, liebe Leserinnen und Leser – nicht überraschend. Auch nicht die Klage meiner Sitznachbarin auf der Fähre von Liverpool nach Douglas über die Tatsache, dass die Bewohner der Isle of Mann (so schrieb sie sich früher) nicht über den Brexit abstimmen durften. Aber eine echte Überraschung hält die Insel tatsächlich für mich bereit. Ich werde als deutscher Spion verhaftet!

Doch der Reihe nach. Mit der „3 Day Go Explore“ Karte mache ich mich auf, die Insel zu erkunden. Mit dieser Karte kann man hier alle Busse und die Bahnen benutzen. Die Manx Electric Railway von Douglas nach Ramsey, den Snaefell Mountain Zug von Laxey auf den höchsten Berg der Insel, den Mount Snaefell, und die Dampfeisenbahn, die mehrmals täglich von Douglas nach Port Erin fährt (und zurück).

Als Freund alter Bahnlinien schlägt mein Herz so hoch es kann. Ich fahre natürlich mit allen drei Linien. Bei der Fahrt mit der Dampfeisenbahn passiert es dann. Schon beim Einsteigen in Douglas habe ich ein etwas mulmiges Gefühl.

Nicht wegen des Heizers, der unermüdlich Kohlen in den Tender schaufelt. Auch nicht wegen der vielen Passagiere, die den heutigen Sonntag für einen Zugausflug nutzen.

Nein, ich wundere mich über die vielen Soldaten in Weltkriegsuniformen, die Rotkreuzschwestern, die Zivilisten in altmodischer Kleidung. Was ist hier los?

Nun, ich werde wieder, wie schon auf Jersey, mit dem Zweiten Weltkrieg konfrontiert, dem jährlich im August stattfindenden „Island at War on the Steam Railway“ Spektakel. Während der gemütlichen Zugfahrt bekommt man davon nichts mit. An den Bahnhöfen schon. In Castletown, der früheren Hauptstadt der Ellan Vannin, wie die Insel auf der Inselsprache Manx hießt, steige ich aus, um mich ins Getümmel zu stürzen.

Am Essensstand fällt bei der Bestellung (Hamburger vom Grill) dem hinter mit stehenden Uniformierten mein ausländischer Akzent auf. „Woher kommen Sie“, werde ich höflich gefragt. Die Antwort „aus Deutschland“ hat dann umgehend Konsequenzen für mich. „Sir, Sie sind verhaftet!“ Ich bin ein deutscher Spion, was denn sonst. Die vier Soldaten, die mich abführen, stellen sich dann aber doch zum Glück als Teil einer zwölfköpfigen Gruppe von Freunden heraus, die ihren Spaß daran haben, in alten Uniformen die Zeit des Zweiten Weltkrieges nachzuspielen. Einer der vier macht noch schnell ein Foto von den drei anderen und mir, und dann gehen wir zum gemütlichen Teil des frühen Nachmittages über.

 

„Ich war zwei Jahre lang in Celle stationiert“, bekomme ich jetzt zu hören. Als ich erwidere, dass ich dort ganz in der Nähe wohne, scheine ich einen Freund fürs Leben gefunden zu haben. „Sehr, sehr schön dort. Ich bin Engländer, wohne aber schon seit fast dreißig Jahren auf der Isle of Man.“ „Trotzdem wirst Du aber nie ein Manx, denn dafür muss man hier geboren sein“, wirft sein Freund ein. „Meine Tochter ist hier geboren, aber das reicht wohl noch nicht?“ „Mir schon, aber auch nur, weil ich Dein Freund bin. Normalerweise muss mindestens ein Großelternteil schon hier geboren sein.“ So geht das hin und her, unter Freunden halt.

 

Als ich die Herren ein wenig necke und in den Ring werfe, dass ihre Insel ja nicht besonders wichtig sein kann, wenn sie immer wieder vergessen wird (schon beim EU-Beitritt des Vereinigten Königreichs hatte man den Sonderstatus des britischen Kronbesitzes, d.h. die Kanalinseln und die Isle of Man, fast vergessen. Beide wurden erst kurz vor Toresschluss in einem Zusatzprotokoll erwähnt), so wie zuletzt bei der Abstimmung über den Brexit, da wird mir prompt geantwortet: „Im Gegenteil. Wir sind sehr wichtig. Wir sind nämlich KEIN Teil des Vereinigten Königreichs oder der EU. Warum hätten wir über etwas abstimmen sollen, was uns überhaupt nicht betrifft?“ „Na ja, uns betrifft das doch“, erwidert Soldat Nummer drei. „Ich habe vorletzte Woche meinen neuen Pass abgeholt, da mein alter abgelaufen war. Auf dem alten Pass stand ‚Isle of Man, United Kingdom und European Union‘, aber auf dem neuen Pass steht nur noch ‚Isle of Man und United Kingdom‘. Wir sind also schon aus einem Verein ausgetreten, in dem wir niemals eingetreten sind“.

 

„Und was erwarten Sie für Ihre Insel, wenn der Brexit wirklich kommt?“, möchte ich noch wissen. „Ich bin doch kein Prophet. Alles ist möglich. Vielleicht ändert sich überhaupt nichts, und wir leben so weiter wie bisher. Vielleicht kommt es zur großen Krise und wir verlieren unseren ganzen Wohlstand. Noch geht es uns sehr gut auf unserer Insel und wir hoffen alle, dass es so bleibt.“ Außer den hier geborenen Insulanern hoffen das sicherlich auch die vielen hinzugezogenen Bewohner der Insel. „Außer Rumänen und Bulgaren, die vor allem im Tourismusbereich arbeiten, leben bei uns inzwischen auch sehr viele Frauen von den Philippinen. Die arbeiten im Gesundheitssektor. Ihre Examen werden hier zwar nicht anerkannt und sie können nicht als Krankenschwestern, sondern nur als Hilfsschwestern arbeiten, aber sie schicken trotzdem wohl sehr viel Geld nachhause zu ihren Familien“. Ja, auch dieses Thema hatte ich schon auf meiner Reise. „Die machen hier die schwere Arbeit, die keiner von uns machen will“, bekomme ich noch zu hören.

Jetzt beginnen ältere Damen und Herren zu „vierziger-Jahre-Musik“ zu tanzen, gleich neben uns. Durch die laute Musik wird die Verständigung zwischen der Patrouille, die mich als Spion enttarnt hat und mir etwas erschwert, oder sagen wir lieber: unmöglich. Aber wir haben ja sowieso alles gesagt, unter anderem auch einen Toast auf die Freundschaft zwischen Deutschland („wir haben viele deutsche Touristen bei uns“) und der Isle of Man ausgesprochen, wobei der gebürtige Engländer völlig zu Recht darauf bestand, das Vereinigte Königreich in die guten Wünsche mit einzubeziehen.

Ich schaue mir noch die Krankenstation an (ein Zelt voller Teddybären) und einige Dampfmaschinen. Und dann laufe ich noch in das Stadtzentrum, wenn ich doch schon einmal hier bin. Ich brauche keine zehn Minuten, dann habe ich das Schloss erreicht.

Lust auf mehr? Hier ist der Link zur Bildergalerie der Isle of Man