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„Noch lebt König Richard, aber es steht schlecht um seine Gesundheit“

Nach langen Bahnfahrten durch Spanien und Frankreich und einem Besuch der Kanalinsel Jersey bin ich jetzt in einem Königreich. Es ist ein sehr kleines Königreich, dieses unabhängige Königreich Hay-on-Wye, das erste Bücherdorf der Welt, das Tor nach Wales. Laut Wikipedia war es im Jahr 1961, als der Buchhändler Richard Booth in einem alten Feuerwehrhaus sein erstes Antiquariat eröffnete.

Dabei sollte es aber nicht bleiben, denn Richard machte aus dem kleinen walisischen Nest Hay-on-Wye an der Grenze zu England ein Bücherdorf. Heute gibt es hier etwa 40 Buchläden, die Bibliophile aus aller Welt anziehen, insbesondere Ende Mai, Anfang Juni, wenn in Hay-on-Wye das jährliche Buchfestival stattfindet. Es war kein geringerer als Bill Clinton, der dieses Festival zum Woodstock der Literatur erklärte. Von einem derartigen Erfolg konnte selbst der Exzentriker Richard Booth in den sechziger und siebziger Jahren nur träumen. Das Geschäft mit den Büchern hatte sich etabliert und Richard hatte das örtliche Schloss käuflich erworben, da muss ihm als Schlossherren irgendwann der zündende Einfall gekommen sein: Er gründete das „unabhängige Königreich Bücherdorf Hay-on-Wye“ und proklamierte sich zum König.

Das Medienecho war enorm und König Richard wurde berühmt. Natürlich gab es und gibt es immer noch Neider und Gegner Richards in Hay-on-Wye. „Aber ohne Richard wäre Hay-on-Wye nach wie vor ein unbedeutendes Kaff. Er hat uns in der ganzen Welt bekannt gemacht.“ Haydn Pugh strahlt mich an. „Und auch wenn Richard es anders sieht. Glauben Sie mir, ich war sein erster Kunde. Ich war ein Knirps von 9 Jahren und kam gleich nach der Eröffnung seines Ladens und kaufte ein kleines Heftchen für ein paar Penny. Richard erzählt ja immer, dass es ein Gentleman war, der zuerst etwas bei ihm kaufte. Wahrscheinlich hat er den kleinen Jungen, der ich war, aus seinem Gedächtnis verdrängt.“ Haydn ist sehr stolz auf das Bücherdorf, in dem er lebt. Natürlich ist auch er ein Teil der Erfolgsgeschichte. Er betreibt das Antiquariat „Haysticks – Music & More“, das sich nur einen sehr kurzen Fußweg von der Bushaltestelle entfernt befindet.

 

Ich hatte wieder einmal Glück, denn das Touristenbüro öffnet erst um 10.00 Uhr. Mein Bus erreichte Hay-on-Wye aber schon um 9.30 Uhr, so dass ich noch ein wenig herumschlendern wollte. Weit kam ich nicht, denn gleich gegenüber dem Touristenbüro war Haydn gerade mit dem Wässern einiger Blumen beschäftigt. Als er mich kommen sah, bot er mir umgehend an, ein Foto von mir vor dem Schild zu machen, das er erst kürzlich an seinem Laden angebracht hat. So kamen wir ins Gespräch.

„Richard hat sich sehr gefreut, als ich ihm von dem Hinweisschild auf das Königreich berichtet habe. Ja, König Richard lebt noch, aber es steht schlecht um seine Gesundheit. Vor einigen Jahren hatte er einen Gehirntumor. Nach der Operation hatte er einige Lähmungen. Jetzt lebt er sehr zurückgezogen, er ist sehr dünn und wird zunehmend dement. Wer weiß, ob er Weihnachten noch erleben wird.“

 

Haydn ist ein Unikum. Einen Kopf kleiner als ich und einige Kilo schwerer, steht er tagein tagaus in seinem Laden. „In den letzten 20 Monaten hatte ich mein Musikantiquariat nur an vier Tagen geschlossen. Weihnachten, am Boxing Day und noch an zwei weiteren Tagen. Aber ich brauche ja auch überhaupt nicht zu verreisen, denn die Welt kommt zu mir. Vor einigen Jahren hat Richard einen Vortrag in Südkorea gehalten. Und seitdem kommen viele Südkoreaner zu uns. Aus Deutschland kommen ganze Reisebusladungen, so wie gerade neulich, als ich das Schild frisch angebracht hatte.“ Die vielen Touristen freuen sich genauso wie ich über das Schild, das Haydn selbst finanziert hat. „Es ist auch als Ehrung für Richard gedacht, und wenn ich damit ihm und den Touristen eine Freude bereiten kann, dann freut es mich ja auch.“

Haydn scheint mit sich und der Welt im Reinen. Er geht an einen Ständer und holt eine Karte hervor. „Bitte, die schenke ich Ihnen. Hier zwischen all den Buchstaben sind die Namen von ein paar Städten versteckt, die unsere Idee aufgenommen haben, und sich jetzt auch Bücherstadt nennen. Ich schenke Ihnen die Karte, bitte schön.“ Unter anderem findet sich unter all den Städtenamen auch der Name „Wünsdorf“, im Buchstabensalat allerdings als „Wunsdorf“ versteckt. Warum müssen wir auch diese Umlaute haben, die dem gemeinen Briten und anderen Ausländern so einige Ausspracheprobleme bereiten.

Während wir so plaudern, kauft ein junger Mann ein Büchlein für 1,50 Pfund. Der Tag fängt also gut an für Haydn, dessen Laden übrigens auch direkt unterhalb des Schlosses liegt. „Ich sage immer, dass bei uns das Gold auf der Straße liegt. Es ist aber leider Falschgold. Nun, reich wird man mit so einem Antiquariat nicht, aber zum Überleben reicht es und es macht viel Spaß.“ Wie gesagt, Haydn ist ein zufriedener Mensch, und jeder, der ihn in seinem Laden zu Gesicht bekommt, wird das bestätigen können.

Zu guter Letzt kommen wir noch auf das Schloss zu sprechen. „Ja, Sie haben Pech, dass Sie das Schloss noch nicht besichtigen können. In einem Jahr sollen die Renovierungsarbeiten abgeschlossen sein, dann müssen Sie wieder zu uns kommen.“ Vom Schloss ist tatsächlich fast nichts zu sehen, da es fast vollständig von Planen bedeckt ist.

 

„Sie sollten mal nach oben gehen, hinter meinem Geschäft den kleinen Weg hoch. Dort können Sie sich über das Schloss informieren. Kommen Sie, wir machen noch ein Foto, mit diesem künstlichen Bücherstapel hier. Den habe ich von örtlichen Künstlern geschenkt bekommen, die meinten, dass er gut zu meinem Schild passt.“ Haydn und sein Schild. Irgendwie hat er damit nicht nur Richard Booth, sondern auch sich selber ein Denkmal gesetzt.