Auf den Spuren von Lawrence Durrell durch Zypern

Beim Frühstück im wunderbaren „Steinhaus“-Gasthaus im türkischen Teil Nikosias fällt mir das griechische Sprichwort aus Zypern ein, dass ich zwei Tage vorher im Buch „Bittere Limonen“ von Lawrence Durrell gelesen habe: „Wenn der Stein auf das Ei fällt, schade um das Ei. Wenn das Ei auf den Stein fällt, schade um das Ei.“ Grandios! Alle drei: Frühstück, Sprichwort und das Buch. Letzteres ein Klassiker der Reiseliteratur. Keine Zypernreise ohne dieses Buch, bitte! Und da bin ich auch schon bei meinem Zypern-Thema. Ich beabsichtige, einige der Orte zu besuchen, die Durrell so brillant beschreibt. Würde der Sohn irischer Eltern, der von 1953 bis 1956 auf Zypern lebte, „seine“ Insel heute noch wiedererkennen? Wohl kaum. Lesen Sie mal, was er über Kyrenia schreibt, nachdem er mit dem Schiff aus Venedig kommend dort Quartier nahm: „Während ich Beziehungen anknüpfe und eine erste Erkundung unternahm, wohnte ich bei meinem Freund, dem Lehrer Panos, in zwei kleinen, sauberen Zimmern, die auf den Hafen von Kyrenia sahen, den einzigen Hafen auf Cypern, der – winzig, sauber, bunt und schön, etwas von der echten allure der Kykladen hat. Er liegt an der Seeseite der Kyreniahügel gegenüber der ausgezackten türkischen Küstenlinie, deren Berge versinken und wieder aus dem Meer auftauchen, sich auflösen und mit der transparenten Verheißung einer Fata Morgana wiedererscheinen.“

Nun, Kyrenia heißt jetzt Girne. Und Girne ist eine sehr beliebte Urlaubsstadt, insbesondere natürlich bei Türken und – wie ich bei der Besichtigung der Burg feststelle – Russen. Während der britischen Herrschaft über Zypern diente die Burg unter anderem auch als Gefängnis. Jetzt ist sie als Museum zu besichtigen, mit einem prima Ausblick über den immer noch winzigen, sauberen, bunten und schönen Hafen. Auch die türkische Küste ist von der Burg aus im Norden gut zu erkennen, heute aber leider ohne die von Durrell erwähnte Fata Morgana.

Doch „von der echten allure der Kykladen“, die Durrell beschrieb, ist am Hafen nichts mehr geblieben. Ein „traditionelles Fischrestaurant“ neben dem anderen, „super Sonderangebote“ überall. Das Efes-Bier fließt bei den unzähligen Touristen genauso in Strömen wie der Schweiß. Hier unten am Hafen ist es immer noch irgendwie schön, aber mit den ständigen Aufforderungen, doch bitte eine Bootstour zu buchen oder einen Platz im Restaurant einzunehmen, kann man mich wirklich nicht ködern.

 

Durrell hatte Anfang der fünfziger Jahre natürlich nicht vorhersehen können, dass es in Kyrenia später einmal genauso aussehen würde wie in vielen anderen der – das will ich nicht bestreiten – durchaus reizvollen türkischen Küstenstädte. Aber auch er trauerte schon ein wenig der guten alten Zeit nach: „Schon hatte die übliche Urlaubssaison, in der Kyrenia regelmäßig von Fremden besucht wurde, hier eine Menge unerfreulicher Bars und Cafés entstehen lassen, die eine sorgfältige Nachahmung der Lyons-Betriebe waren.“ Nun, bis 1960 gehörte Zypern ja auch zum British Empire. Und auch heute noch leben viele Briten auf der drittgrößten Mittelmeerinsel Zypern. Diese sind entweder Pensionäre oder sog. „Expats“ (im Ausland tätige Briten) und haben mit den Massentavernen am Hafen wohl auch nicht so viel am Hute. Stattdessen treffe ich sie in großer Anzahl oberhalb des Hafens im „The George“ an. Hier trifft man sich bei Bier und Hamburger oder anderen Chips-Gerichten (fish and chips habe ich allerdings nicht auf der Karte entdeckt) und schaut mehr oder weniger gelangweilt auf die riesigen Flachbildschirme, auf denen gerade das Cricket-Match zwischen Indien und Bangladesch übertragen wird. Die meisten der Kellner stammen aus Pakistan und drücken wohl Bangladesch die Daumen, aber Indien liegt derzeit nahezu uneinholbar in Führung (und wird am Ende mit 28 runs gewinnen, wie ich später der Webseite cricketworldcup.com entnehmen werde).

 

Das ist schon eine besondere Sorte Mensch, der britische Auslandspensionär (den ich später auf meiner Reise ja auch noch auf Malta und in Gibraltar antreffen werde). Diese grauhaarigen Ladies und Gentlemen aus dem Vereinigten Königreich wirken tiefenentspannt. Kein Vergleich zu den schwitzenden Touristen am Hafen. Hier im „The George“ hätte auch Loriot seine Freude gehabt: „Was tust Du?“ „Ich sitze“. Alles sehr angenehm relaxed hier. Ganz im Einklang mit dem Namensgeber des Pubs. King George? Nein, nein, das hätte eher zu Durrells Zeiten gepasst. Der Pub ist nach dem genialen Fußballer George Best benannt. Drinnen im Pub ist eine große Fotokollage über den immer noch populärsten Spieler Manchester Uniteds zu besichtigen, auf der natürlich auch das berühmteste Zitat des Fußball-Genies nicht fehlt: „I spent 90% of my money on women and drink. The rest I wasted.“ Bei einem etwas anderen Lebenswandel wäre George Best nach Ansicht vieler Experten vielleicht der beste Fußballer aller Zeiten geworden, aber angesichts Aussagen wie dieser hier - „In 1969 I gave up women and alcohol. It was the worst 20 minutes of my life“ - ist es nicht wirklich verwunderlich, dass der gute George 2005 schon im Alter von 59 Jahren das Zeitliche segnete. Die trinkfesten Fans hier lieben George Best und seinen Humor, das wage ich mal ohne nachzufragen zu behaupten.

Was hätte Lawrence Durrell wohl über diesen englischen Pub geschrieben? Nun, auf jeden Fall sind die heutigen Senioren und die Expats deutlich rüstiger als die Briten, die Durrell seinerzeit im hiesigen Dom-Hotel beobachtete: „Es war, als hätte jede gottverlassene viktorianische Pension zwischen Folkstone und Scarborough einen Vertreter zu einer Weltkonferenz der Langlebigkeit entsandt. Die Gestalten, die Gesichter, die Hüte gehören einer wirren, von Karikaturisten entworfen Welt an, und nichts konnte einen so davon überzeugen, dass es mit England zu Ende ging, wie ein Blick auf diese Ansammlung von Krücken, Bruchbändern, Rollstühlen, Tragriemen und Stützkorsetts, die allein diese unheimlichen Überlebenden dazu befähigten, aus ihren Schlafzimmern hervorzukommen und sich der blassen Frühjahrssonne an der Küste von Kyrenia auszusetzen.“ Wo auch immer diese Typen heute ihre letzten Lebensjahre verbringen mögen – hier im „The George“ sind sie jedenfalls nicht anzutreffen.