Dem Himmel so nahe – Teil 2

Im Kloster Megistes Lavras

 

Das Kloster Megistis Lavras liegt ziemlich im Südosten der Halbinsel östlich des Berges Athos und das Kloster Agiou Pavlou im Südwesten, also auf der anderen Seite des Berges. Laut Wanderkarte werde ich 7,5 Stunden für den Weg von dem einem Kloster zum anderen benötigen. Als ich meinem Pilgerbruder Vitali mein Alter nenne, ist der junge Ukrainer überzeugt, dass ich es in acht bis neun Stunden schaffen sollte. Genau diese Zeitangabe hatte ich auch schon von einem Mönch erhalten, der mich obendrein fragte, ob ich nicht  lieber den Bus nehmen wolle. Zurück nach Karyes und von dort zum Kloster Agiou Pavlou. Ein griechischer Pilgerbruder sieht das genauso. „Wollen Sie das wirklich ganz alleine machen? Und wenn Sie umknicken und sich den Fuß brechen? Also ich würde das nicht machen“, soweit der etwa 45 jährige Pilgerbruder.

 

Bedenken hin oder her, ich wandere am nächsten Morgen um 6.00 Uhr los, um vor der Mittagshitze schon möglichst weit gekommen zu sei. In Karyes hatte ich zwei Bananen, zwei Orangen und einen Müsliriegel gekauft, Kekse habe ich noch aus Ouranoupoli. Das sollte zusammen mit meinen beiden frisch gefüllten Wasserflaschen ausreichen, um unterwegs weder zu verhungern, noch zu verdursten.

 

Der Weg ist erstaunlich gut ausgeschildert. Durch einen Wald geht es stetig bergauf. Um 7.00 habe ich die Stelle erreicht, die ich mir für meine Frühstückspause ausgeguckt hatte. Eine Weggabelung weit oberhalb der Skite Prodomou. Hier wendet sich der Weg gen Westen. Eine Banane, einen halben Müsliriegel, eine Orange und eine halbe Wasserflasche später marschiere ich westwärts.

Die noch relativ tief stehende Sonne im Rücken. Links ist das Meer und rechts versteckt sich der Berg Athos zumeist hinter Bäumen oder kleineren Bergen. Der Weg ist wunderbar. Meist schattig im Wald, hin und wieder ein Stückchen über felsiges Gelände. Dort scheint einem zwar die Sonne auf den Rücken, aber dafür hat Mann auch prima Aussichten auf das Meer und hin und wieder auch auf den Berg Athos.

 

Es ist fast genau Punkt 9.00 Uhr, als ich vor mir Stimmen höre. Ich bin also doch nicht ganz alleine unterwegs hier. An einer Weggabelung mit Wasserquelle hat sich eine Gruppe Wanderer niedergelassen. Mein griechischer Begrüßungsgruß „Kali mera!“ wird mit „sind Sie aus Deutschland?“ erwidert. Das hätte ich mir ja fast denken können. Wanderer (Pilger?) aus Deutschland. Einige Herren in meinem Alter mit einigen Jungspunden, teilweise Söhnen der Herren, wie ich jetzt erfahre. Der etwas übergewichtige Mann, der in mir sofort den Landsmann erkannt hatte, erzählt mir, dass er schon häufiger zum „Heiligen Berg“ gepilgert sei. Vor zweieinhalb Stunden seien sie von der Skite der heiligen Anna aus aufgebrochen, um heute den Berg Athos zu besteigen. Sie beabsichtigen, oben auf dem Berg zu übernachten. Ich bin überrascht. Habe ich denn tatsächlich schon die Stelle erreicht, wo der Einstieg zum Berg Athos von meiner geplanten Route (über die Skite der heiligen Anna zum Kloster Agiou Pavlou) abzweigt? Von hier aus sollte Mann in etwa drei Stunden den Gipfel erreichen können.

 

Ginge ich jetzt auch hoch auf den Berg, wäre ich also – wenn ich zwischendurch mal ein paar Pausen einlege – vielleicht um 16.00 wieder hier zurück. Dann noch etwa zweieinhalb bis drei Stunden bis zum Kloster Agiou Pavlou, wenn alles gut geht. Das ist also machbar! Kennen Sie, liebe Leserinnen und Leser, dieses Gefühl? Der Ehrgeiz erwacht. Es einmal wieder sich selbst und der Mitwelt und dem lieben Gott zeigen wollen. Da ist noch mehr zu schaffen, als geplant. Und wann werde ich schon einmal wieder die Gelegenheit haben, den Berg Athos zu besteigen? Und schließlich bin ich Optimist. Und doch auch noch ganz gut drauf. Also esse ich meine zweite Banane, meine zweite Orange, meinen zweiten halben Müsliriegel, fülle meine inzwischen geleerten Wasserflaschen und mache mich auf den Weg. Hier geht es hoch auf den Berg. Und dort runter zur Skite der heiligen Anna. Da erinnere ich mich an diese Anekdote über – ich  glaube – einen orthodoxen Mönch am „Heiligen Berg“, der an einer Weggabelung vor die Alternative gestellt wird, nach links zu einer Frau, oder nach rechts zum Teufel zu gehen. Pest oder Cholera für den armen Tropf. Ihm bleibt hier nichts anderes übrig, als den Teufel zu wählen. Da bin ich aus anderem Holz geschnitzt. Sollen doch, zum Teufel, die deutschen Wanderer ohne mich auf den Berg klettern. Ich entscheide mich für die heilige Anna und gehe Richtung Nordwesten bergab weiter, anstatt Richtung Nordosten bergauf.

 

Der Abstieg zur Skite ist übrigens alles andere als vergnügungssteuerpflichtig. War die Wanderung bisher wenig anstrengend, wird sie auf diesem Teilstück wenig erquickend. Steil bergab auf rutschigem Geröll. Zum Glück ist nach gut eineinhalb Stunden der Abstieg bewältigt. Da tut eine kleine Rast in der Skite gut. Der Rest bis zum Kloster Agiou Pavlou ist ein Katzensprung. Um 11.55 erreiche ich das Klostertor. Was bin ich doch für ein toller Hecht. In sechs Stunden von Lavras bis Pavlou. Mir waren doch acht bis neun Stunden prophezeit worden. Lächerlich. Da hätte ich doch locker noch mal eben zwischendurch den Berg erklimmen können. Zur Begrüßung, oder ist es gar zur Belohnung, erhalte ich vom Pater nicht nur einen Gellewürfel und ein Glas Wasser, sondern nach dem ersten Gläschen Tsipouro gleich noch ein zweites eingeschenkt. „Drink, it is good!“. Dem ist nicht zu widersprechen. Der Pater bringt mich zu einem Zweibettzimmer („es kann sein, dass sich noch ein Bruder aus Italien zu Ihnen gesellen wird“) und empfiehlt mir eine Dusche und eine Siesta. Und auch da sollte mich der Teufel holen, würde ich es wagen, ihm zu widersprechen.

 

Agiou Pavlou

Kirche im Kloster Agiou Pavlou

Der Berg Athos