Fast ein Jahrhundert Luxemburg wird zu Grabe getragen

 

Am 23. April ist Großherzog Jean im Alter von 98 Jahren gestorben, und heute, am 4. Mai, ist sein Staatsbegräbnis. Die Trauerfeier findet in der Kathedrale in Luxemburg-Stadt statt. Tausende Luxemburgerinnen und Luxemburger und wohl nicht wesentlich weniger Touristen aus aller Welt stehen hinter den Absperrgittern, um dem Trauerzug mit dem Sarg des Verstorbenen die Ehre zu erweisen. Mein frühes Kommen sicherte mir einen phantastischen Platz: Direkt hinter einer Gruppe luxemburgischer Frauen mit Blick auf den Eingang der Kathedrale. Gleich schräg vor mir stehen auch schon der Reporter und der Kameramann von RTL auf einer kleinen Tribüne.

Meine fehlenden Kenntnisse der „yellow press“ gleichen die Damen vor mir mit profundem Wissen locker aus. Kaum öffnen sich die Türen der Staatskarossen, da nennt schon die eine oder andere der Kennerinnen umgehend den Namen der aussteigenden königlichen Hoheiten, auch wenn wir die meisten von ihnen nur kurz von vorne oder der Seite sehen und ansonsten dann nur noch von hinten (schließlich laufen Sie ja gemessenen Schrittes in die Kathedrale und nicht auf uns zu). Der belgische König Philippe mit seiner Frau Mathilde, die ehemalige niederländische Königin Beatrix, die dänische Königin Margrethe II, König Harald V. aus Norwegen mit seiner Frau Sonja, König Karl XVI. Gustav von Schweden mit Frau Silvia, Alt-König Juan Carlos mit Frau Sophia, Fürst Albert II aus Monaco, Prinzessin Anne aus dem Vereinigten Königreich, Prinz Hassan aus Jordanien und sogar der Erbprinz Alois von und zu Liechtenstein mit seiner Frau Sophie – die Damen vor mir zeigen keine Schwäche und erkennen sie alle.

 

Aber es kommt ja noch besser. Luxemburgerisch hin oder her, ich verstehe genug dieser reizenden Sprache, um zu begreifen, dass meine unbekannten Freundinnen ihre Zelte hier jetzt abbrechen um sich an einen Ort zu begeben, an dem gleich der Trauerzug mit dem Sarg und der großherzoglichen Familie vorbeikommen muss. Also nichts wie los, dorthin, wo schon so viele andere Menschen warten. Na gut, den Trauerzug sehe ich schließlich dann nur aus der dritten oder vierten Reihe. Aber dafür haben die vor mir stehenden Massen die Royales nicht live gesehen, und wann bekommt man schon einmal solch eine Gelegenheit.

 

Die Trauerfeier schaue ich mir dann mit allen denjenigen, die keinen Platz in der Kathedrale bekommen haben, beim „public viewing“ auf der Place d´Armes an. Und wieder werde ich sehr angenehm überrascht, denn die Feier wird auf Luxemburgisch, Französisch und Englisch abgehalten. Auch hier reichen meine Sprachkenntnisse aus um zu verstehen, dass Großherzog Jean ein liebevolles Familienoberhaupt war und oberdrein ein vielseitig engagierter, großherziger Mensch, der sein Amt sehr diskret und zurückhaltend ausgeübt hat. Und, so möchte ich hinzufügen, es war während seiner Amtszeit von 1964 bis 2000, in der Luxemburg den Wandel vom Industrie- und Agrarstaat zum Dienstleistungszentrum vollzog, mit einem besonderen Augenmerk auf Europa.

Die Luxemburger haben ihn wohl sehr gemocht, ihren Großherzog Jean, und wenn mein Eindruck nicht völlig trügt, dann muss er – so sagen es mir die liebevoll trauernden Gesichter der Menschen um mich herum, im seinem langen Leben vieles richtig gemacht haben. Fast ein Jahrhundert Luxemburg werden heute zu Grabe getragen: Jean Benoit Guillaume Robert Antoine Louis Marie Adolphe Marc d´Aviano von Nassau, seine Königliche Hoheit Jean, Großherzog von Luxemburg, Herzog von Nassau, Prinz von Bourbon-Parma, Pfalzgraf bei Rhein, Graf zu Sayn, Königstein, Katzeneinbogen und Diez, Burggraf von Hammerstein, Herr von Mahlberg, Wiesbaden, Idstein, Merenberg, Limburg und Eppstein!